Am ersten Adventswochenende haben sich 43 Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer unserer Schule auf einen 1200 Km langen Weg gemacht und Le Mans in Westfrankreich besucht.
Eine lange Vorgeschichte
Warum macht man sich in diesen Corona-Zeiten auf eine so beschwerlich weite Reise? Als im Oktober 2014 unser ehemaliger Dessauer Propst Max Pritze mit seinem Nachlass dem Liborius-Gymnasium eine Reliquie überließ, war dies vor allem ein Zeichen von Anerkennung und tiefer Freundschaftlichkeit. Zugleich spürten die in der Schule mit der Schulseelsorge betrauten, dass es nicht einfach sein würde, Reliquienfrömmigkeit in der Glaubenswelt heutiger Schüler zu verorten. Andererseits stammt die Reliquie vom heiligen Liborius (Bischof von Le Mans, gestorben 397 n. Chr.), dem Namenspatron unserer Schule. Wie aber sollte man mit ihr umgehen? Wo sollte sie ihren Platz erhalten, rein äußerlich im Schulgebäude, aber eben auch innerlich im Glauben unserer Schulgemeinschaft?
So blieb die Liborius-Reliquie vorerst in der Propstei. Im Jahre 2019 entstand dann im Schulpastoralteam die Idee, gemeinsam den Lebensort des Heiligen in Frankreich aufzusuchen und die Spuren seines Lebens zu finden. Die vorbereitenden Planungen einer solchen Le-Mans-Fahrt, bei der auf dem Rückweg auch die Hauptreliquien im Paderborner Dom besucht werden sollten, dauerten bis zum März 2020. Sechs Tage vor der Fahrt war es der erste Corona-Lockdown, der alle Planungen zunichtemachte. Schnell suchten wir einen neuen Termin, der anderthalb Jahre später lag, wohlwissend dass die Corona-Pandemie auch dieses Mal ein Wort mitreden könnte.
Eine Pilgerreise nach Westfrankreich
Am ersten Advent war es dann soweit. Gut vorbereitet, mit Hygienekonzept und täglichen Schnelltests begann die weite Pilgerreise. Die Gruppe erlebte besondere freundschaftliche Begegnungen: Frankreich, eine andere Kultur, die antike gallo-römische Stadtmauer in Le Mans, die großartige mittelalterliche Kathedrale und vor allem viele Menschen, die mit ihrer Gastfreundschaft das Motto der Pilgerreise, „L’amitié est sacrée“, einfach in die Tat umsetzten. Eindrucksvoll nahmen wir den Besuch bei Bischof Yves Le Saux wahr, der die Reliquie als ein Zeichen der Verbindung zu unseren Vorgängern im Glauben sah. Es seien immer die „relations“, die Begegnungen, die das Christentum ausmachten: Begegnungen mit Gott, mit unseren Vorfahren im Glauben, mit allen Menschen, ob gläubig oder nicht, vor allem aber mit den Menschen am Rande, „les pauvres et les petits“, den Armen und Kleinen.
Unser Pilgerrucksack hat sich im Laufe der Pilgerfahrt immer mehr gefüllt mit solchen Erfahrungen, allerdings auch mit anderen: Verunsicherung und Angst, als eine Corona-positiv-Testung einen Schüler betraf und die Pilgergruppe verfrüht nach Dessau zurückkehren musste. „Diese Pilgerfahrt ist auch ein Abenteuer“, wie Timothée Lambert, Mitglied der Liborius-Fraternität und Vertreter unserer französischen Gastgeber, betonte. Als schwerwiegendes Abschiedsgeschenk erhielt die Pilgergruppe von ihm einen Sandstein der Kathedrale von Le Mans überreicht. Vielleicht mag er für die Lasten und Mühen unseres Lebens stehen. Ich glaube, dass der Stein uns erdet. Er holt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Er erzählt davon, dass unser Leben vielfältig ist und eben auch anstrengend. Der Stein wird seinen Platz am Raum der Stille des Liborius-Gymnasiums finden; dort, wo schon andere liegen: aus Magdeburg, Rom, Taizé, Helfta, Wittenberg und natürlich Paderborn.
Eine spirituelle Bereicherung
Einerseits kam also vieles anders als geplant, andererseits konnten wir dennoch viele Programmpunkte in Le Mans absolvieren und noch einmal eine eigene Beziehung zu unserer Reliquie, die wir bei der Reise mitgeführt haben, aufbauen.
Dazu hat auch wesentlich die Corona-Situation beigetragen. Die positive Corona-Testung hat den Fahrtverlauf verändert, hat Unruhe, Stress Ängste, und auch Verantwortung und Umsicht in der Gruppe wachsen lassen. Am ersten Nachmittag und Abend hat dies die Stimmung in der Gruppe sehr stark betroffen. Dies änderte sich dann am zweiten Tag mit der ganz besonderen Begegnung bei Bischof Le Saux, bei Besichtigungen in Altstadt und Kathedrale und zuletzt beim Gottesdienst kurz vor unserer verfrühten und dann als Nachtfahrt durchgeführten Rückkehr nach Dessau. Bischof Le Saux verwies im Blick auf die Reliquie besonders auch auf unsere eigene Körperlichkeit. Gerade diese haben wir im Blick auf die konkrete Ansteckungsbedrohung und auch die Ängste bei einzelnen von uns sehr deutlich verstanden. Ich glaube, dass viele von uns ihr eigenes Verhältnis zu Ängsten, Scheitern und Machtlosigkeit neu reflektieren konnten, da möchte ich uns als Lehrer nicht ausnehmen. Ich denke, dass wir viel erlebt haben, dass der Le-Mans-Teil der Fahrt mit vielen kleinen schönen Erlebnissen sich tief bei uns festgesetzt hat und dass wir durch unsere Fahrt deutlich gestärkt wurden. Es war eine wirkliche „Pilgerreise“, die wir unternommen haben!
Im Nachhinein hat sich trotz 15-stündiger gemeinsamer Busfahrt und für zwei Schüler einer gemeinsamen Übernachtung mit dem infizierten Schüler niemand angesteckt. Das ist ein weiteres Geschenk, wodurch wir den oben genannten „Schatz“ wirklich heben konnten.
Den Paderborner Programmteil mussten wir allerdings leider absagen, da wir die Zeit in der Gruppe und gemeinsam im Bus radikal verkürzen mussten, da ja nicht klar war, ob und wie viele der Teilnehmer infiziert sein würden. Gerne würden wir, wenn dies Corona zulässt, dann doch noch mit den Schülern eine kleine Fahrt nach Paderborn machen, denn leider ist ja diese Seite der Medaille nicht zum Klingen gekommen. Die Wahrnehmung der beiden Seiten der Fraternität bzw. der Freundschaft zwischen den beiden Bistümern macht ja gerade das Faszinierende aus, im Angesicht unserer modernen und rationalen Welt.
Bernd Krueger
Schulpastoralteam am Libo